Georgia O'Keefe - “Wie Musik, die Löcher in den Himmel reißt…” - Petruschkis Fahrt ins Blaue - Kapitel 21
Eine andere Reise - in einer “Pause” der Pandemie. Hätte nicht gedacht, dass die Reise zu Derek Jarmans Austellung Protest! in Dublin im Dezember 19 die vorerst letzte sein sollte, die letzte ohne den Gedanken an einen Virus, der killen kann oder das Leben nachhaltig verändert. Hier zum ersten Kapitel Ins Blaue geträumt mit Derek Jarman. Interessant ist in diesem ersten Kapitel auch, den Artikel von Rebecca Mead -Reading Derek Jarman Is Strangely Consoling- vom 13. April 2019 in The New Yorker zu lesen: wie seltsam tröstend in diesen Zeiten von Corona Derek Jarmans Tagebücher -Modern Nature- sind.
Madrid im Sommer 2021. Die Ausstellung Georgia O’Keeffe im Museum Thyssen Bornemisza in Madrid. Aus gegebenen Anlass nun ein Kapitel über die amerikanische Künstlerin, die 1986 mit 98 Jahren starb. Denn
in der Fondation Beyerler in Basel ist diese Austellung bis zum 22. Mai 2022 zu sehen.
Zu weiteren Kapiteln über Georgia O’Keeffe geht es hier: Georgia O'Keeffe …zu sehen braucht Zeit, wie einen Freund zu haben Zeit braucht…Kapitel 22 - Petruschkis Fahrt ins Blaue und hier Georgia O'Keeffe "...Ich kann nicht leben wie ich möchte …, da wäre ich blöd, wenn ich nicht wenigstens male, was ich möchte“ Ins Blaue Kapitel 23
Zum Titelbild aus dem Jahr 1919…es heißt Serie No. 8.
1916 beschrieb O’Keeffe ihren Wunsch, “die wirklichen Dinge wahrzunehmen, wie Musik, die Löcher in den Himmel reißt”. Wobei das “reißen” eine Frage der Übesetzung ist, im englischen heißt es “Make”.
Denn in diesem Bild ist nichts aggressives, es pulsiert. Wie Schallwellen, die in der Luft schwingen. Ich dachte an eine Vulva. Da bin ich wohl nicht die einzige. Eine Vulva. Voller Farben, Prallheit und Präsenz im Moment der Lust. Auch an ein blühendes Gewächs, das keimt. Ich verstehe die Verbindung zur Musik. Es ist die Vibration, die sichtbar wird. Welche Farben, welches Leuchten.
Ja, die Vulven, die blühenden….Sie selbst sagte dazu:
"Wenn die Leute erotische Symbole in meinen Bildern lesen, sprechen sie über ihre eigenen Angelegenheiten"
Vielleicht bezog sie sich damit auf ihren Mann, Stieglitz, der immer davon überzeugt war, dass sie mit ihrer Malerei ihre Sexualität bewältigte. Und sie war nicht einverstanden damit. Ist das der Fall, hat dieses Zitat jedenfalls eine gehörige Portion Witz.
Georgia O’Keeffe und die frühe Abstraktion
Georgia O’Keefe war eine der ersten abstrakten Künstler:innen der USA. 1915 wagte O'Keeffe mit einer Gruppe von Kohlezeichnungen den Sprung in die Abstraktion. Sie gehörten zu den radikalsten Werken, die zu dieser Zeit in den Vereinigten Staaten entstanden. In diesen und den folgenden Abstraktionen versuchte O'Keeffe, die Gedanken und Gefühle zu beschreiben für die sie keine Worte fand. . Quelle: Whitney Museum of American Art / Georgia O’Keeffe Abstraction.
Wir können uns nochmal Hilma Af Klint (1862-1944) in Erinnerung rufen und ihren Weg zur und mit der Abstraktion. Kapitel 9 -Hilma Af Klint - Bilder aus der unsichtbaren Welt.
“Zu "esoterischer Kunst" erklärte die Kunstkritik damals diese Werke. Und obwohl Georgia O'Keeffe selbst - anders als etwa Hilma af Klint oder Wassily Kandinsky - mit ihrer Kunst keine Ansprüche auf die Offenbarung höherer und höchster Wahrheiten verband, trifft das Wort "esoterisch" doch diese Zeichnungen: insofern sie Dinge zur Anschauung bringen sollten, die niemand zuvor gesehen hatte und vermutlich auch niemand anderer sah.” Thomas Steinfeld Süddeutsche Geweih gegen die Abstraktion 2016
Formen der Natur und das Wesen der Dinge
Die Fotografin Anita Pollitzer, mit der O’Keefe studiert hatte, war zu einer Freundin geworden. Das zeigt ein fast lebenslanger Briefwechsel. Ihr schickte sie regelmäßig ihre Werke und Anita Pollitzer brachte einige davon in die Galerie 291 von Alfred Steglitz. Damals die einzige Galerie in New York, die sich der europäischen Avantgarde annahm. Er bewunderte die Bilder O’Keefes und stellte sie bald aus. Obwohl er ihr riet, weiter in Schwarz-Weiß zu malen, kehrte O’Keeffe zu farbigen Arbeiten zurück. Nachfolgend entstand eine Serie von etwa 50 überwiegend in blau gehaltenen Aquarellen. Frei experimentierte O'Keeffe mit der Abstraktion. Sie sagte:
"Nur durch Auswahl, Eliminierung und Hervorhebung gelangen wir zur wahren Bedeutung der Dinge".
Ihre Liebe zur Natur zeigt sich in diesen frühen abstrakten Werken. Wellen, Wolken, Ufer, Blumen. Artblart.com
Ein Embryo…
Die Malerin und der Fotograf - Georgia O’Keeffe und Alfred Stieglitz - Komplizen
Alfred Stieglitz war eine der wichtigsten Personen, die der amerikanischen Öffentlichkeit Einflüsse der europäischen Avantgarde auf die amerikanische Kunst präsentierten. Dazu nutzte er seine Tätigkeit als Herausgeber der Zeitschrift Camera Work, mit der er die Fotografie fördern und sie als Kunstform legitimieren wollte. Darüber hinaus war er Direktor der berühmten „Galerie 291“ sowie danach der „Intimate Gallery“ und „An American Place“. In der Galerie 291 hatte O’Keeffe ihre erste Einzelausstellung im Frühjahr 1917. Stieglitz wurde ihr Mentor und bat sie, für ihn Modell zu stehen. Sie verliebten sich heftig ineinander und 1918 liess sich Steglitz von seiner ersten Frau scheiden. Von 1918 bis 1937 fertigte Stieglitz über 300 Fotografien von O’Keeffe an. Sie sagte über ihn: “Er fotografierte mich mit einer Art Inbrunst und Erregtheit.” Oft waren es erotische Aufnahmen, dadurch wurde ihre eigene Malerei als Ausdruck ihrer Sexualität interpretiert. Das war nicht ganz ungewollt. Denn mit diesem “Etikett” ließ sich das Interesse an O`Keeffes Malerei steigern und somit auch der Verkauf. Sie heirateten 1924.
“Zweifellos half die Verbindung zum 23 Jahre älteren Stieglitz, dem überaus einflussreichen New Yorker Kunstwelt-Impresario, der jungen Malerin O'Keeffe, ihre eigene Karriere aufzubauen. Als Galerist kümmerte sich Stieglitz etwa um die Platzierung der Gemälde in wichtigen US-Sammlungen. Doch O'Keeffe gelang es auch in einem kräftezehrenden Balanceakt, sich jenseits von Stieglitz und seinem Kreis als eigenständige Künstlerin zu behaupten. O’Keeffe bewahrte immer ihre Unabhängigkeit. “ Aus -Eine Legende- Artikel aus der Süddeutschen von Kito Nedo (Auch in interessant über ihre Freundschaften zu anderen Fotograf:innen.
Körperlandschaften
Schon als kleines Kind lernte sie in ihrer Heimatstadt Sun Prairie, Wisconsin, bei einem Aquarellmaler. Als sie 1908 in New York war, besuchte sie eine Ausstellung von Rodins Aquarellen in eben jener Midtown Gallery 291 von Alfred Stieglitz, ihrem späteren Ehemann und großem künstlerischen Mitarbeiter. -Rodins Akte erinnern mich wirklich an die ihren, aber O’Keefes scheinen mir viel kühner in ihrem kruden Formalismus-
"Anita, ich bin gerade zu dem tröstlichen Schluss gekommen, dass ich haufenweise Aquarelllandschaften malen muss, bevor ich auch nur ein halbwegs passables Bild finden werde. Nach ungefähr zehn Versuchen - ich muss wirklich über mich selbst lachen - ist es wie ein Herumtasten im Dunkeln - ich dachte, ich wüsste, was ich versuchen wollte, aber ich stelle fest, dass ich es nicht weiß - und ich schätze, ich werde es nur herausfinden, wenn ich mich abmühe. Ich fühle mich wie ein Wrack - habe den ganzen Tag wie verrückt gearbeitet - und du weißt ja, wie köstlich angewidert man von allem sein kann - wenn die Sonne untergeht - und man sich den ganzen Tag den Kopf zermartert hat. Es gibt mir das Gefühl, das ich hatte, als ich noch ein kleines Kind war und mit dem Zug von zu Hause wegfuhr - es ist eine ganz besondere Art von Übelkeit."
Aus einem Brief von Georgia O'Keeffe an Anita Pollitzer' (1916)
Ich liebe diese Akte in Wasserfarben. Denn sie sind nah, greifbar, gegenständlich und gleichzeitig abstrakt. Sozusagen ikonographisch. Sie sind roh und fein und sie sind farbig, aber trotzdem nicht bunt.
Musik Sex und Form
Das sexy Kaleidoskop. Kaleidoskope haben mich als Kind immer fasziniert. Diese Spiegelung ins Unendliche. Und dann dreht man und es kommt zu neuen Formen und wieder unendlich. Gegenständlichkeit oder Verlockung, das abstrakte Bild gegenständlich zu interpretieren. Körperöffnungen, erotische Erwartung.
“Vertikale Leinwand in überwiegend graublauen Tönen mit einigen ausgeprägten Linien von kräftiger Farbe. Die allgemeine Form ist die eines "U", das in der Mitte von einer vertikalen blauen Linie dominiert wird. Im unteren Teil ziehen Bänder aus graurosa, blaugrünen und graublauen, vorhangähnlichen Linien, die sich in der Mitte treffen und die "U"-Form bilden, aus der sich die zarte blaue Linie erhebt. Der obere Teil strahlt vom Licht, das der blauen Linie am nächsten ist, bis zum dunkelsten Teil des Gemäldes in den oberen linken und rechten Ecken aus.” Quelle artsandculture
Der Schlitz, der Spalt, die Vulva, der Ursprung der Welt - in einer großartigen Freiheit und Weite von Georgia O’Keeffe. So frei, so schön, so weit, dass es ganz egal ist, ob Georgia O’Keefe nun den Schlitz, den Spalt, die Vulva gemalt hat. Hier noch mal das Gemälde “Der Ursprung der Welt” von Courbet, 1866
53 Jahre liegen zwischen diesen Gemälden, enstanden in der Alten und der Neuen Welt. Ein Skandal, das Courbet-Bild damals. Und doch atmet auch das schon Abstraktion. O'Keeffe und die weibliche Form…
O'Keeffes Werk wurde von Kritikern oft mit der weiblichen Form verglichen und als Ausdruck der weiblichen Natur beschrieben. Obwohl sie erklärte, dass dies nicht beabsichtigt war und sie sich manchmal über diese ihr aufgezwungene Bezeichnung ärgerte, akzeptierte sie, dass dies ein Aspekt war, der ihr Werk charakterisierte und sie von den anderen Künstlern und Modernisten ihrer Zeit unterschied und der mit ein Grund dafür ist, dass sie so gefeiert wird und ihr Vermächtnis so wichtig ist. singulart
Um 1920 malte O'Keeffe um 1920 eine Reihe von Werken, in denen sie "die Idee, dass Musik in etwas für das Auge übersetzt werden kann", erforschte. “Blue and Green Music" gehörte zu dieser Serie, in der O'Keeffe Farben verwendete, um Klänge zu evozieren. Sie wählte eine Palette von Blau- und Grüntönen, die in Schattierung und Intensität variieren, um die Variationen musikalischer Töne zu replizieren und sie in den Bereich des Visuellen zu übertragen. Georgia O'Keeffe malte Blue and Green Music zwischen 1919 und 1921, als sie sich durch die Ausstellungen in der Galerie von Alfred Stieglitz mit der europäischen Moderne vertraut gemacht hatte. Sie war inspiriert und interessiert von und an den Theorien und Arbeiten Kandinskys, der in seinem berühmtem Essay “Über das Geistige in der Kunst” argumentierte, dass Maler nur durch die Verbindung von Farbe und Musik eine spirituellere Offenbarung in ihren Werken erreichen könnten. Was die Form anbelangt, so erforschte O'Keeffe weiterhin die Motive der natürlichen Welt, die für ihr Werk charakteristisch werden sollten. In Blue and Green Music suggerieren die fließenden Texturen der Formen abstrahierte Nahansichten von Blättern und Blumen. Quelle singulart
Bald wird es mehr zu sehen geben von Georgia O’Keeffe, Blumen, Landschaften, Abstraktionen…
Bis dahin ein Zitat von ihr aus den frühen 1980ern: