Petruschki

Hi.

Welcome to my blog. I’m a performer and I like stories and storytelling. I’m curious. Hope you have a nice stay!

Liebe, Kunst und Wut der Frauen - Toulouse-Lautrec Kapitel 20 Petruschkis Fahrt ins Blaue

Liebe, Kunst und Wut der Frauen - Toulouse-Lautrec Kapitel 20 Petruschkis Fahrt ins Blaue


Im letzten Monat vor der Pandemie gingen wir auf eine Reise mit Bus und Bahn durch Spanien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Großbritannien und Irland. Das Ziel war die Ausstellung Protest! von Derek Jarman in Dublin. Mehr darüber im 1. Kapitel Ins Blaue geträumt. Zwar war das unser Ziel , aber dann haben wir uns herumgetrieben und 21 Ausstellungen besucht. Es wurde ein Zeitreise, vom Barock in die Moderne. In Staunen versetzt mich immer noch, wie jede einzelne Künstlerin, jeder Künstler es schaffte in seiner Zeit sein eigenes, von dieser Zeit unabhängiges Werk zu kreieren. Mit sicherem Wissen oder großen Zweifeln, mit Selbstverständlichkeit und /oder schmerzhaften Kämpfen. Wir haben Geschichten entdeckt und Freund:innen getroffen. In diesem Kapitel sind wir immer noch ganz am Anfang unserer Reise in Paris. Nach El Greco gehen wir in die nächste Ausstellung im Grand Palais: Toulouse-Lautrec Résolument ModerneEntschlossen modern, die vom 9. Oktober 2019 – 27. Januar 2020 stattfand. Zum 1.Teil über Toulouse-Lautrec “Man muß sich selbst ertragen können” HIER klicken. Der zweite Teil “Der Herbst ist der Frühling des Winters” ist HIER und für den dritten Teil “Toulouse-Lautrec und der Hügel der Wunder: Montmartre” bitte HIER klicken. Nun also der vierte Blogpost über Toulouse-Lautrec…

Liebe, Kunst und Wut der Frauen

Auf dem Titelbild sehen wir

Carmen Gaudin

Gemalt 1884, als Lautrec gerade mal 20 Jahre alt war. Frühe Meisterschaft. Carmen Gaudin war Wäscherin und Gelegenheitsprostituierte. Toulouse-Lautrec sah sie auf der Straße, als er in einem Restaurant saß und war gleich für ihre rotgoldene, kupferleuchtende Mähne entflammt. Man sieht ihr in das schöne Gesicht. Sehr selten hat Toulouse-Lautrec sie so von Angesicht gemalt. Und was ist das für ein Blick? Wie auf einem Fahndungsfoto geht der Blick am Betrachter vorbei. Er ist verschlossen, als köchelte eine Wut dahinter.

Ständig zu sehen im Sterling and Francine Clarck Art Institute, Williamstown (Massachusets)

Toulouse-Lautrec Carmen Gaudin 1885, National Gallery Washington

Toulouse-Lautrec soll besessen von Carmen Gaudin gewesen sein. Oder verliebt? Oder waren es nur die Haare? Objekt Frau…Es ist ungewöhnlich, wie er sie darstellt. Nie lächelt sie auf seinen Bildern, selten sieht man ihr schönes Gesicht unverdeckt. Er war sehr fasziniert von diesem Haar, diesem Leuchten. Aber das Verrückte ist, dass er seine Faszination in einen Kontext stellt, der sehr greifbar die Melancholie bis hin zu Traurigkeit, Armut und Anstrengung zeigt. Carmen Gaudin wirkt wie eine natürliche Königin, die nirgendwo herrscht, die immer arbeiten muss und nie ausruhen kann.

Toulouse-Lautrec Rosa La Rouge 1886

Arbeit. Müdigkeit. Müde Wut. Sie scheint die Zähne zusammen zu beißen. Die Wäscherinnen standen auf der untersten Stufe der Berufe, die Frauen ausüben konnten. Das Bild hängt in der Barnes Foundation in Philadelphia.

Toulouse-Lautrec Rousse. La toilette 1889

Henri de Toulouse-Lautrec - “Rousse. La toilette” im Museo d’Orsay, París

Eine Frau sitzt auf dem Boden, auf Handtüchern und einem Teppich. Vielleicht hat sie vor, sich in dem Badezuber, der da steht, zu waschen. Sie hat lange schwarze Strümpfe an und nur ein Handtuch über den Schoß geworfen, der Rest der Kleidung liegt auf dem Korbsessel daneben. Könnte auch Carmen Gaudin sein, aber wer weiß, wir sehen nur ihren wunderbar gemalten Rücken. Lautrec hat schon früher Bilder von ihr mit La Rousse betitelt. Sicher ist, dass die Frau ihm in seinem Atelier Modell sitzt, denn auf einem Foto aus dieser Zeit sind die gleichen Sessel in seinem Atelier in der Rue Tourlaque zu sehen.

Toulouse-Lautrec zeigt die Frau aus einer sehr natürlichen, realistischen Perspektive, die damals revolutionär war. Der Betrachter steht direkt hinter ihr und blickt nach unten. Das rote Haar hat sich leicht aus dem Knoten gelöst. Wir schauen auf den perfekten Rücken, der zu den berühmtesten der Kunstgeschichte gehört. Das mit dem Rücken habe ich irgendwo gelesen. Und dachte, so ein Rücken, andauernd ausgezogen für die Freier, krumm gebückt beim Waschen, schmerzend von der Last, die auf ihm liegt. Aber er wurde gemalt in seiner Zartheit, Verletzlichkeit, Stärke. Mir gefallen die Farben und ihr Zusammenspiel, das Rötliche des Haares, die Farbe der Haut, das Bläuliche der Tücher.

Toulouse-Lautrec schätzte Degas sehr und tatsächlich erinnert dieses Gemälde an Degas’ Sujets aus dem Bade.

“Der Ton der Werke ist jedoch ein anderer. Degas macht den Betrachter zu einem Voyeur, der eine private Szene beobachtet, zu der er nicht eingeladen wurde. Das ist hier nicht der Fall. Die Frau ist keine Fremde, wir spionieren ihr nicht nach, sie ist jemand, der uns kennt und keine Skrupel hat, sich vor uns zu waschen. Warum passiert das? Vielleicht liegt es an der Freimütigkeit, mit der das Gemälde gemalt ist, mit jenen Pinselstrichen, die an die Pastelltechnik erinnern, als wäre es eine Skizze, obwohl es das nicht ist. Oder vielleicht liegt es an der Perspektive, die uns gewissermaßen in die Position des Künstlers versetzt, der auf dem Hocker vor der Staffelei sitzt und ein Modell malt, das für ihn posiert. “

zitiert nach elcuadrodeldia

Zu sehen im Musée d’ Orsay, Paris

Mehr Bilder Toulouse-Lautrecs von Carmen Gaudin.

Toulouse-Lautrec Carmen Gaudin

Un da hing sie plötzlich, unerwartet, in Madrid, im Museo Nacional Thyssen-Bornemisza. Ich war sozusagen wie vom Donner gerührt. Ein Wiedersehen mit der trotzig-traurigen Schönheit eineinhalb Jahre später.

Suzanne Valodon

Toulouse-Lautrec La Grosse Marie ou Vénus de Montmartre 1884

La Grosse Marie ou Vénus de Montmartre Von der Heydt-Museum, Wuppertal

Die dicke Marie oder die Venus von Montmartre. Immer hab ich mich gefragt, wieso “Dicke Marie”… Da ist ein kleiner zarter Frauenbusen, kein Wabbelbauch, keine überquellenden Fettrollen. Irgendwo habe ich gelesen, dass dieses Bild die Rache Lautrecs an seiner Freundin Suzanne Valodon gewesen sei. Dann scheint die Rache in einem Teil des Titels zu liegen: die fette Marie. Aber dann heißt das Bild auch Die Venus von Montmartre: Der direkte Blick und das leichte, abschätzige Lächeln haben wirklich die Souveränität einer Göttin. Schamlos im besten Sinne, ein Lächeln kaum merklicher als das der Mona Lisa. Die Darbietung der Nacktheit ohne Ressentiments. Und die Maske und die Puppe an ihrer Seite sehen auch aus, als gehörten sie zu einem göttlichen Ritual, als wären sie ihre spirituellen Diener.

Man kann es auch anders sehen - Zola stellte fest, die Arbeiterin könne nur zwischen Übeln wählen: „entweder Prostitution oder Hunger oder langsamer Tod“. Viele junge Frauen kamen damals aus der Provinz, flohen vor Hunger und Armut, um dann in schlecht bezahlten Jobs ebenso zu hungern. Oder sie trugen ihre Haut zu Markte. Das harte Leben prägte den Blick. Kein Platz für romantiche Liebe.

Zum Thema Liebe sagte Henri de Toulouse-Lautrec einmal zur Sängerin Yvette Guilbert: "Ah, die Liebe! Die Liebe! (...) Wenn man vom Begehren singen würde, könnte man die Vielfalt ihrer Tricks verstehen und sogar darüber lachen... Aber die Liebe, meine arme Yvette, die gibt es nicht!"

Henri Toulouse Lautrec, "Retrato de Madame Valadon, artista y pintora", 1885.

Die Kunstreiterin, das Titelbild des Kapitels “Der Herbst ist der Frühling des Winters”, auch das ist Suzanne Valodon. Früher hieß sie Marie-Clementine Valade, aber weil sie immer von alten Künstlern umgeben war, wie die biblische Susanna, nannte sie Toulouse-Lautrec Suzanne. Bald wird es über sie ein eigenes Kapitel geben. Denn sie wurde selbst eine herrausragende und erfolgreiche Malerin des Postimpressionismus. Leider bald vergessen. Noch heute steht in einigen Artikeln über sie, dass sie als Bekannte und Freundin so vieler Künstler “hin und wieder zum Pinsel griff”. Dabei war ihre Malerei zu ihren Lebzeiten sehr erfolgreich und sie konnte davon ganz unabhängig leben. Wer schon mal etwas von ihr sehen möchte: das Titelbild des Kapitels 10 “Die nächsten Neun” ist von ihr und das Selbstporträt der Ankündigung des Kapitels über sie.

Zuletzt gab es eine Ausstellung ihres Werkes in der Barnes Foundation in Philadelphia.

Toulouse-Lautrec, «Gueule de Bois / La Buveuse / La gueule de bois», v. 1887–1889

Gueule de Bois, das ist der Kater nach dem Besäufnis. So soll Aristide Bruant, der in seinen Liedern immer wieder das heftige Trinken besang, das Bild genannt haben. Aber ist das wirklich ein Kater, der da auf der Schulter von Suzanne Valodon sitzt? Oder ist sie tief in Gedanken versunken, in Zweifel und Grübeleien? So sehr, dass sie ganz vergießt, weiter zu trinken. Und so selbstbewußt, das sie als Frau in diesen Zeiten allein am Tisch sitzt und etwas trinkt. Der Blick ist nicht verschlossen, die Augen drehen sich nicht vor Kopfschmerz zum Himmel. Sie blickt prüfend vor sich hin und ich sehe diesen Anflug von leicht köchelnder Wut wie in manchen Blicken von Carmen Gaudin.

Lily Grenier


Lilly Grenier und ihr Mann führten Toulouse-Lautrec in das wilde Leben vom Montmartre ein. Sie gaben Kostümfeste, Lily liebte es sich zu verkleiden. Sie zeigten ihm die Cabarets und Varietes. Eine Zeit lang wohnte er wohl auch bei ihnen. Da gibt es eine berühmte Karikatur Lautrecs: Lily Grenier bläst Lautrec einen, vielleicht war es so oder er hat es sich erträumt. Zu sehen ist sie hier auf dem Blog Treclau.blogspot.com, man muß ein bißchen runterscrollen.

La Goulue Luise Weber

Toulouse-Lautrec La Goulue arrivant au Moulin Rouge (accompagnée de deux femmes), 1892

La Goulue / Louise Weber, Königin des Moulin Rouge, die erste Königin der Belle Epoque, Schon im vorhergehenden Kapitel habe ich etwas über sie geschrieben.

Dieser Auftritt knallt nur so vor Selbstbewußtsein und Coolness. Ihr Gesicht strahlt in cowboymäßiger Arroganz, mit einem heftigen Hauch von Karikatur, den Lautrec da reingepackt hat. Wieder ein fantastischer Fotoausschnitt. La Goulue sieht herausfordernd in die Pinselkamera. Irgendwo habe ich tatsächlich gelesen, dass man Toulouse-Lautrec damals den Pinselfotografen genannt hat. Die Dame bei der La Goulue da eingehakt ist, das mag wohl Mome Fromage sein. Ebenfalls Tänzerin im Moulin Rouge und ihre Geliebte. Durch ihren großen Erfolg konnte Louise Weber ein Haus auf dem Montmartre kaufen und lebte dort mit Mome Fromage. Später heiratete sie einen Zirkusartisten und wurde selbst Raubtierdompteuse. Der Mann starb im ersten Weltkrieg, ihr einziger Sohn nicht viel später. Sie lebte alt und arm in einem Wohnwagen, aber wenn sie Besuch bekam, soll sie immer noch die Arme in die Luft gworfen haben mit dem Ausruf: Vive l´amour!

“Ihr Bild, eine Mischung aus Unschuld und Exzentrik, wird gleichzeitig durch einen neuen, energiegeladenen Tanz geprägt, der in Paris allmählich in aller Munde ist: der Cancan. Und die Legende besagt, dass sie so geschickt ist, dass sie in ihrer "schamlosen" Haltung gegenüber den Herren oft mit der Spitze ihres Schuhs deren Hüte abnimmt.” Quelle

Kurze Momentaufnahmen von La Goulue in den 1920ern, als ältere pummelige Frau, die die Bewegungen des Cancan mit großer Grazie erinnert.


Jane Avril

Eine erstaunliche Geschichte. Ich hatte keine Ahnung, dass der Tanz in dieser Zeit, der Belle Epoque, so divers sein konnte. Klischees im Kopf. Die wirbelnden Röcke des Can Can. Als Kinder haben wir diese Cancanmelodie veralbert und die Beine dazu geschmissen und die Waden gewedelt, cancanmäßig rumgetobt.

Jane Avril war anders als die anderen Tänzerinnen. Sie hatte den Spitznamen Mélinite, es ist der Name eines Sprengstoffes. Meistens tanzte sie allein, immer mit einem Hut und sie wählte ihre Kostüme nach dem Thema ihres Tanzes. Ihre Art sich für jeden einzelnen Tanz anders zu kleiden, wurde berühmt. Es war spektakulär.

Ihre Kindheit muss schrecklich gewesen sein. Sie war die Tochter eines italienischen Adeligen und seiner Mätresse. Der Typ haute ab und die Mutter schlug sie. Sie hatte einen Nervenzusammenbruch und kam in eine Anstalt. Die Ärtze diagnostizierten Veitstanz. Auf einem Fest in dieser Klink fiel ihre Gabe des Tanzens auf. Wie ich gelesen habe, wurde sie auf Bestreben der Krankenchwestern dort endlich entlassen. Mit 16 Jahren kam sie auf den Montmartre und tanzte.

Toulouse-Lautrec Jane Avril 1893

Toulouse -Lautrec Jane Avril betritt das Moulin Rouge

Auf diesem Bild soll sie 20 gewesen sein. Ihr Gesicht sieht alt und müde aus. Und die Figur an der linken Seite ist ein schwarzer, unheilvoller Schatten. Toulouse-Lautrec und sie waren sehr enge Freunde. Zwei Aussenseiter. Zwei Aussenseiter mit großem Ruhm. Jane Avril liebte die Künste und die Literatur, deswegen wurde sie von ihren Kollegen für eine Snobinard gehalten. Ebenso wie La Goulue wurde Jane Avril durch ein Plakat von Touloue-Lautrec außerordentlich berühmt. Sie erklärte dazu kurz vor ihrem Tod 1943: "Lautrec verdanke ich meine Berühmtheit, die auf sein erstes Plakat von mir zurückgeht."

Quelle

Misia Natanson später Misia Sert

Toulouse-Lautrec Misia Natanson

Toulouse-Lautrec nannte sie "L'Alouette/Die Lerche", war einer ihrer engsten Freunde und malte sie oft. Eines der Titelblätter von La Révue Blanche zeigt sie in einem wunderschönen Schlittschuhkostüm und mit einem Hut, dessen Federn wie Rauchschwaden in die Luft ragen. Misia und ihre Freunde waren Teil der Welt von Lautrec und besuchten oft den Montmartre und seine Cafés, wo sie Yvette Guilbert, Aristide Bruant im Chat Noir und Vincent Hyspa, der zu den Klängen von Eric Satie sang, hörten, während Claude Debussy, "unnahbar und rätselhaft, still in einer Ecke saß und zuhörte". Die Fin-de-siècle-Welt des Theaters, des Tanzes und der Kunst wurde zu Misias Lebensmittelpunkt. Nachdem sie sich von Tadeusz Nathanson hatte scheiden lassen, wurde sie Geliebte und dann die Ehefrau des sehr wohlhabenden Unternehmers Alfred Edwards und verfügte nun über die finanziellen Mittel, um eine neue Generation von Künstlern zu unterstützen.

Durch den Einfluss von José María Sert, dem spanischen Maler, den sie nach Edwards heiratete, gelangte Misia in den Kreis der Avantgarde von Serge Diaghilev, der Geld für sein Ballet Russes benötigte. Zu den Kunstwerken, die Misia unterstützte, gehörten Strawinskys “Sacre de Printemps” und “Parade” von Erik Satie und Jean Cocteau. "Misia besaß", so ihre Biographen Arthur Gold und Robert Fizdale, "ein instinktives Gespür für schwierige Avantgarde-Werke" und führt als Beispiel Debussys “Nachmittag eines Fauns” nach einem Gedicht von Stéphane Mallarmé an: "Nijinskys fetischistischer masturbatorischer Umgang mit dem Schleier der Nymphe verstörte das Publikum, das seine Doppelsprünge erwartete."

Quelle: The queen of Paris: Misia Sert as a muse and patron to painters / Wikipedia

Yvette Guilbert

Chanson “Le Fiacre” Yvette Guilbert

Yvette Guilbert war ein Lieblingsmotiv Henri de Toulouse-Lautrecs. Das ist unverkennbar, betrachtet man die zahlreichen Porträts und Karikaturen, die er von ihr machte. Sein zweites Album mit Skizzen widmete er ihr. Sigmund Freud besuchte ihre Auftritte, unter anderem in Wien, und nannte sie seine Lieblingssängerin. George Bernard Shaw schrieb eine Rezension, in der er ihre Neuartigkeit hervorhob, aber die Kritiken waren bei weitem nicht alle positiv. Der Dramatiker und Songschreiber Maurice Lefèvre sagte über sie:

“Lasst uns das Chanson Moderne betreten. Da ist sie! Langer Blutegel, geschlechtslos! Sie kriecht, kriecht mit Zischen, hinterlässt die Moiré-Spur ihres Geifers... An beiden Seiten des knochenlosen Körpers hängen, wie jämmerliche Wracks, Tentakel in Grabhandschuhen. Denn sie wird in der Tat die Beerdigung unserer lateinischen Rasse anführen. Völlige Verneinung unseres Genies... Armes kleines Chanson, treuer Spiegel, in dem die Menschen sich selbst reflektieren, bist du verantwortlich für ihre Abscheulichkeit?"

Wahnsinn, oder? Das kingt nach Twittertroll. Wenn Männer hassen…

Der englische Maler William Rothenstein beschrieb diesen Auftritt in seinem ersten Band der Memoiren:

Eines Abends kam Lautrec in die Rue Ravignan, um uns von einer neuen Sängerin zu erzählen, einer Freundin von Xanrof, die zum ersten Mal im Moulin Rouge auftreten sollte... Wir gingen hin; ein junges Mädchen erschien, von jungfräulichem Aussehen, schlank, blass, ohne Rouge. Ihre Lieder waren nicht jungfräulich - im Gegenteil; aber die Besucher des Moulin Rouge ließen sich nicht so leicht erschrecken; sie starrten fassungslos auf diese neuartige Verbindung von Unschuld und Xanrofs schrecklichem Doppelgänger; sie starrten, blieben stehen und brachen in begeisterten Beifall aus.”

Zusammen mit seinen Freunden setzte Lautrec seine Tournee durch die Pariser Konzert-Cafés fort: La Boule Noire, Le Divan japonais, La Cigale, La Scala, ... auf der Suche nach neuen Stimmungen und neuen Modellen, die er auf seinem Papier festhalten konnte. Yvette Guilbert, Sängerin im Moulin Rouge und im Japanischen Divan, schrieb an Lautrec, nachdem er einen Plakatentwurf für sie angefertigt hatte: "Lieber Herr, ich sage Ihnen, dass mein Plakat für diesen Winter bereits bestellt und fast fertig war. Es ist also vertagt. Aber um Himmels willen, machen Sie mich nicht so schrecklich hässlich! Ein bisschen weniger! ... Viele Leute, die zu mir kamen, schrien wie wild, als sie den kolorierten Entwurf betrachteten ... Nicht jeder sieht ausschließlich die künstlerische Seite ... und Dame!"

Foto von Yvette Gilbert in der Ausstellung Toulouse-Lautrec Résolument Moderne

Im Treppenaufgang zwischen erster und zweiter Austellungsebene hing dieses Foto von Yvette Gilbert - so riesig und schön.

Toulouse-Lautrec Yvette Guilbert

Dennoch ist Guilbert ein Fan von Lautrecs Arbeit und fühlt sich sogar zu ihm hingezogen. In ihren Memoiren beschreibt sie das Aussehen des jungen Mannes und die Wirkung, die er auf sie hatte (und kleidet ihn gleichzeitig für den Winter neu ein): "(...) brauner Kopf, riesig, das Gesicht bunt und schwarzbärtig, eine fettige, ölige Haut, eine Nase, mit der man zwei Gesichter garnieren kann, und ein Mund! Ein Mund, der das Gesicht von einer Wange zur anderen zerfetzt, die Schleimhäute der gewaltigen, rosavioletten Lippen, die flach und schlaff sind und diesen schrecklichen und obszönen Spalt säumen. Schließlich blicke ich in die Augen von Lautrec. Ach, wie schön sie sind, groß, breit, reich an Wärme, erstaunlich strahlend, so hell! Ich verweile, um sie zu betrachten, und plötzlich zieht Lautrec, der das bemerkt, sein Lorgnon zurück. Er kennt ihre einzigartige Pracht und schenkt sie mir in aller Großzügigkeit".

Neben ihrem besonderen Aussehen hat Guilbert auch ein Markenzeichen: ein weißes Kleid und lange schwarze Handschuhe, die sie auf der Bühne langsam auszieht, was im Publikum unisono zu einer Brunft führt. Lautrec hebt diese Handschuhe in vielen seiner Zeichnungen hervor. Auf dem Druck “Divan Japonais” zeigt er sie ohne Kopf, erkennbar nur durch die schwarzen Handschuhe.

1897 heiratete sie den Impresario Max Schiller. Guilbert unternahm erfolgreiche Tourneen durch England und Deutschland sowie 1895-1896 durch die Vereinigten Staaten. Sie trat in der Carnegie Hall in New York City auf. Selbst in ihren Fünfzigern hatte ihr Name noch Anziehungskraft, und sie spielte in mehreren Stummfilmen (darunter eine Hauptrolle in F. W. Murnaus Faust) und Tonfilmen, unter anderem in einer Rolle mit ihrem Freund Sacha Guitry.

In späteren Jahren wandte sich Guilbert dem Schreiben über die Belle Époque zu, und 1902 wurden zwei ihrer Romane (La Vedette und Les Demi-vieilles) veröffentlicht. In den 1920er Jahren erschien ihr Lehrbuch L'art de chanter une chanson (Die Kunst, ein Lied zu singen). Sie leitete auch Schulen für junge Mädchen in New York und Paris. Eine ihrer Schülerinnen in Paris war die amerikanische Sopranistin und Volksliedforscherin Loraine Wyman.

Quelle: Wikipedia, wikiedu, Les modelles feminins de Toulouse-Lautrec


Loïe Fuller

Über sie aus dem 18. Kapitel des Blogs “Der Herbst ist der Frühling des Winters” : “Ja, auch über diese Künstlerin Loïe Fuller würde ich gern einen Artikel schreiben. Atemberaubend, was sie geschaffen hat. Sie hat soviel Neues für die Bühnenkunst im Bezug auf Licht und Technik hervorgebracht und den Weg zum Modernen Tanz geebnet durch ihre abstrakten Performances.”

Die amerikanische Tänzerin und Choreografin Loïe Fuller verführte das Pariser Publikum als sie im September 1892 den Serpentine Dance im Folies-Bergère zeigte. In einem weiten weißen Kleid wirbelte sie die Tuchschichten wie in Spiralen. Sie ließ den Tanz mit wechselnden Farben von elektrischen Scheinwerfern beleuchten. Toulouse-Lautrec war beeindruckt und verzaubert von der Neuartigkeit dieses Auftritts und dem Spiel mit dem künstlichen Licht. Er brachte diese Spiralen auf das Papier fantastisch und vereinfacht, die Tänzerin selbst war kaum noch sichtbar. 1893 veröffentlichte er Lithographien davon. 5 Steine nutzte er dazu, mit jedem Druck variierte er die Farbkombinationen. Quelle Ausstellungsinfo

Hier Loïe Fuller bei ihrer so berühmt gewordenen Performance, die Toulouse-Lautrec in Zeichnungen umgesetzt hat.

Toulouse-Lautrec Louise Fuller Danse

Bordell

Toulouse-Lautrec Au salon

Von 1892 bis 1895 schuf Toulouse-Lautrec fast 50 Gemälde und zahlreiche Skizzen in Pariser Bordellen. Er lebte zeitweise dort. Die Prostituierten nennen ihn "Mr. Henri", sie verehren und verwöhnen ihn: Er teilt ihre Geheimnisse, ihre Mahlzeiten, ihre Spiele. Es wird gekuschelt und gelacht. Mit seinem Notizbuch bewaffnet lässt er sich in einer Zimmerecke, an einem Wandbehang oder hinter einer Balustrade vergessen, um zu zeichnen, was er sieht, den Alltag der Frauen, die in einer Gemeinschaft eingesperrt leben. Männer sind in seinen Bildern fast völlig abwesend. Sein Interesse gilt den Frauen. Trotz ihres Berufs sexualisiert er sie nie: Er konzentriert sich auf ihre Haltung, ihre Gestik und ihre alltäglichen Aktivitäten. So skizziert er wie ein Reporter Szenen von Mahlzeiten, Arztbesuchen oder auch Ruhepausen, in denen sich manchmal die Umarmung zwischen Frauen in einen zärtlichen Moment verwandelt.

Quelle: Les modelles femenins de Toulouse-Lautrec

Toulouse-Lautrec Dans le lit 1892.jpg

Toulouse-Lautrec Zwei Freundinnen 1894-95

Toulouse-Lautrec Im Bett, der Kuss

Die Zärtlichkeit, die Innigkeit auf diesen Bildern berührt mich. Irgendwann Ende der 90er gab es in Paris eine Ausstellung über Toulouse-Lautrec, in der vor allem sein großer Geschäftssinn betrachtet wurde. Da wurde unter anderem gesagt, er hätte all diese lesbischen Bordellszenen gemalt, weil sie sich gut verkaufen würden. Na ja, who knows. Und selbst wenn es so wäre, hat er die Frauen mit einer solchen Nähe, Achtung und Zärtlichkeit dargestellt, dass es ganz egal ist.

Elles

“Mit der Mappe Elles schuf Toulouse-Lautrec eine der bedeutendsten Grafikreihen an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Die elf Farblithografien weisen stilistisch und thematisch weit über das Fin de Siècle hinaus. Mit einmaliger Virtuosität schuf der Künstler mit dieser Mappe eine Hommage an die Frauen überhaupt.” Ich weiß nicht mehr, wo ich diesen Satz gefunden habe. Er klingt mir so enthusiastisch, dass ich ihn einfach hier stehen lasse.

Toulouse-Lautrec 1889

Toulouse-Lautrec 1889

Dieses Bild “Seule” …”Allein”…gehört zu der Mappe “Elles”. Ich nehme an, es ist die Vorlage für die Grafik. Ich liebe es. Hingegeben, die Flügel engelgleich, an die Einsamkeit.

Toulouse-Lautrec Sitzende Clownin Mademoiselle Cha-u-ka-o, 1896

Auch dieser Druck ist aus der Mappe “Elles” Die Clownin Cha-u-kao

Toulouse-Lautrec La mére Le Petit Dejeuner 1881

Ein frühes Bild der Mutter Lautrecs.

Henri Marie Raymond de Toulouse-Lautrec-Monfa wurde nur 36 Jahre alt. Als er schon zu den bedeutendsten Künstlern Frankreichs zählte, raffte ihn eine Kombination von Alkoholismus und Syphilis dahin. Er starb auf dem Schloß Malromé im Beisein seiner Eltern. Seine letzten Worte waren: Mama, nur Sie! Sterben ist verdammt hart.

So sind es vier Kapitel über Toulouse-Lautrec geworden. Das hätte ich nie gedacht. Aber er war so wie der Titel der Ausstellung in Paris lautete: Résolument Moderne. Er war “entschieden modern”. Er, wie andere Postimpressionisten auch, machte diese Schritte in die Moderne und bereitete die Kunst der Moderne vor, indem er den entscheidenden Wandel von der Nachahmung der Natur zum eigenständigen Kunstwerk voranbrachte.

Als nächstes wird es wieder einen Umweg geben. Oder ein Pariser Zwischenspiel, ich weiß es nocht nicht. Sicher ist das Kapitel über Georgia O’Keeffe.

Kleines Zwischenspiel - Paris, die erste Nacht - Petruschkis Fahrt ins Blaue

Kleines Zwischenspiel - Paris, die erste Nacht - Petruschkis Fahrt ins Blaue

Toulouse-Lautrec und der Hügel der Wunder: Montmartre - Kapitel 19 - Petruschkis Fahrt ins Blaue

Toulouse-Lautrec und der Hügel der Wunder: Montmartre - Kapitel 19 - Petruschkis Fahrt ins Blaue