Petruschkis Fahrt ins Blaue - Kapitel 5 - Paris in Blau und Gold
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Im Dezember 2019 machten wir uns auf eine Reise mit Bus, Zug und Schiff durch Spanien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Großbritannien und Irland. Unser Ziel war die Ausstellung Protest! von Derek Jarman in Dublin. Zum ersten Kapitel darüber geht es hier. auf dem Weg dorthin gab es soviel anzuschauen. Wir haben 21 Ausstellungen besucht und viele Geschichten entdeckt. Hier kommen wir gerade in Paris an.
3. Dezember 2019 gegen 20 Uhr Paris Gare de Lyon
Ooh jaa Paris bei Nacht und der Mond und die Seine und ich wusste nicht, dass der Eiffelturm ein Leuchtturm ist.
Da kann ich überhaupt nicht aufhören zu gucken und mir gehen die Augen über.
Nächtlicher Spaziergang durch den Jardin Nelson Mandela im Viertel Les Halles. Zahlreiche Ratten grüßen freundlich und beäugen interessiert unseren Weg. Vor der gothischen Kirche St. Eustache liegt diese Steinskulptur von Henry de Miller aus dem Jahr 1986. Sie heisst -ècoute- - Hör zu- oder -Hör hin-. Ein gigantischer Kopf, ein Ohr ist nach unten gerichtet und mit der Hand geschützt, als wollte er in das Innere von Paris lauschen. Das steinerne Monument wiegt übrigens 70 Tonnen.
St.Eustache ist die bedeutendste Kirche aus dem 16. Jahrhundert in Paris. Ein Besuch lohnt sich, auch weil sie nicht so überlaufen ist. Es ist die größte Renaissancekirche Frankreichs, hat aber in ihrer Großstruktur noch viel Verbindung zur Gotik. In einem Seitenaltar etwas versteckt befindet sich das wundervolle Tryptichon “The Life of Christ” von Keith Haring. Hier sieht man sein Formenvokabular ganz in Gold, ein Fenster zum Himmel.
Was für verrückte Farben in dieser Pariser Dezembernacht.
Eine karge Bank in Ivry-sur-Seine. Nicht sehr einladend. Eigentlich nur zwei Bretter. In der Kargheit poetisch. Eine Beckett-Bank. Hier könnte man auf Godot warten. Unter diesem blauen Himmel.
Ich mag die karge Bank vorm hohen Haus unterm blauen Himmel. Eine kleine Theaterbühne. Ob sich dort mal jemand hinsetzt. Vielleicht zum Ausruhen. Keine Bank für Liebespaare. In Ivry-sur-Seine. Hier haben wir übernachtet. Es ist unvergleichlich günstiger als Paris und mit dem Nahverkehr ist man schnell im Zentrum.. Ivry-sur-Seine ist nur 7 Kilometer vom Pariser Stadtzentrum entfernt. Man kann die Seine entlang laufen.
Ivry-sur-Seine ist nicht schön und nicht hässlich. Aber ich mag die Atmosphäre dieser Arbeiter- und Immigrantenstadt mit 62.000 Einwohnern. Seit 1920 stellen die Kommunisten den Bürgermeister. Die Menschen kamen nach dem 2.Weltkrieg von den Antillen, aus dem Maghreb, Indochina und Subsahara-Afrika. Hier gab es bis vor ein paar Jahren den Sozialwohnungsbaublock Gagarin, der von Juri Gagarin selbst eingeweiht wurde und einem ökologischen Wohnprojekt gewichen ist.
Es gibt ein Gemeindezentrum Gérard Philipe. Der wunderschöne Schauspieler, so hell und transparent mit diesem freundlich leuchtenden Gesicht. Meine Mutter war ganz verliebt in ihn, in dem Film Fanfan la Tulipe / Fanfan, der Husar. Ich habe den Film nie gesehen, aber irgendwann sah ich ein wunderschöne Foto von ihm aus diesem Film. Da habe ich meine Mutter verstanden. Gerards Vater war Nazi-Kollaborateur, er selbst aber kämpfte im Widerstand. Er starb mit nur 37 Jahren.
Mit der Metrolinie 7 dauert es von der Station Mairie de Ivry-sur-Seine ins Zentrum nur eine knappe halbe Stunde. Schneller geht es mit dem Vorortzug in 10 Minuten. Als wir ankamen, erfuhren wir, dass am übernächsten Tag der Generalstreik anfangen sollte. Die Museen blieben geschlossen, der Nahverkehr war kaum in Betrieb. Also mussten wir unsere Pläne ändern. Wir würden nicht alles sehen können, was wir gern gesehen hätten. Schweren Herzens veranschiedeten wir uns von Felix Féneon und dem Musée d´ Orsay.
Und noch eine Ausstellung…die wir nicht sehen konnten. Hier in der Metro auf dem Weg zum Palais de Tokyo in die Ausstellung “La fabrique du geste” von Hans Hartung. Und da bekommen wir in dieser Größe das Gemälde ”Bacchus und Ariadne” des Barockmalers Luca Giordano geschenkt. Dieses Gemälde bezieht sich auf ein berühmtes Werk von Tizian zum gleichen Thema, dem antiken griechischen Mythos. In dieser Szene segelt der Held Theseus weg, nachdem er Ariadne auf der Insel Naxos verlassen hat. Bacchus, der Gott des Weins und des Festes, kommt, um sie zu trösten. Luca Giordano malte das Bild für die Familie Rosso in Florenz. Es bedeckte eine ganze Mauer in ihrem Palast. Da ist der kleine flatternde Engel, der Bacchus auf die nackte Schöne aufmerksam macht. Mit dem blauen Tuch in der Hand scheint er zu sagen: Willst du sie nicht wenigstens zudecken?
Auf dem Weg zum angeblich besten Croissantladen von Paris kamen wir an diesem Laden vorbei: “Bleu de Perse” ziemlich genau gegenüber der Sorbonne. Denkt man da nicht an Märchen und Abenteuer? An die orientalisch anmutenden Bilder von Matisse? Woher kommt das Blau? Der Name Indigo stammt aus dem Griechischen und verweist auf seinen Urspung in Indien. Indigo war dort wohl schon im 3.Jahrtausend vor Christus bekannt. Ende des 15.Jahrhunderts kam er nach Europa und war im 16.Jahrhundert fast überall verboten. Er wurde sogar Teufelsfarbe genannt, denn er gefärdete den Reichtum durch die Produktion der Farbe Blau mit Färberwaid.
Die Croissants der Bäckerei Maison Isabelle auf dem Boulevard St.Germain waren wirklich nicht schlecht.